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Produkte auf Basis von Silikagel haben spätesten seit den 90er Jahren gesättigte Salzlösungen zur Erzeugung konstanter relativer Luftfeuchtigkeit (RH) in Vitrinen verdrängt. Ihr offensichtlicher Vorteil: Es muss keine Flüssigkeit eingebracht werden. Allerdings ist das Risiko des Verschüttens beherrschbar, wenn man kleine höhere Behälter auf dem Vitrinenboden verwendet und diese nur von angeleitetem Personal hantiert werden. Bei der Wahl von Silikagelen wurde in Kauf genommen, dass diese eine geringere Kapazität als Salzlösungen haben, also entsprechend häufiger regeneriert werden müssen.
Was Luftschadstoffe angeht sind mittlerweile neue Tatsachen experimentell nachgewiesen worden, die bei einem Vergleich berücksichtigt werden müssen:
- Salzlösungen absorbieren korrosive Schadgase, wie bereits für Formaldehyd und Essigsäure im laufenden DBU-Forschungsprojekt ,Salz in der Vitrine‘ an der Universität des Saarlands nachgewiesen werden konnte. Silikagei hingegen ist kein zuverlässiger Schadstoffabsorber, wie Alexandra Schieweck festgestellt hat: „The assumption that silica gels, which are installed in display cases to buffer relative humidity, might also act as pollutant adsorbers cannot be confirmed.“ https://doi.org/10.1186/s40494-020-0357-8 , S. 13.
- Gesättigte Lösungen von Kaliumcarbonat (RH = 43%) und Magnesiumnitrat (RH = 54%) geben keine relevanten Mengen an Luftschadstoffen ab, sie bestehen den Oddy-Test: https://doi.org/10.1186/s40494-022-00689-3
Gleiches gilt nicht für Silikagel: Ein Team des Schweizerischen Nationalmuseums berichtete auf der Konferenz „Recent Advances in Glass and Ceramics Conservation 2022“ von der Abgabe korrosiver flüchtiger organischer Verbindungen aus vorkonditioniertem Silikagel aus dem Handel, die empfindliche Modellgläser angriffen (Tagungsband als kostenloses e-book bei lulu.com downloadbar)
In Deutschland scheinen Salzlösungen nur noch – soweit bekannt -in drei Fällen im Einsatz zu sein, problemfrei (!):
- Magnesiumchlorid für die ‚kranken‘ Gläser der Kunstsammlungen der Veste Coburg seit 30 Jahren,
- Magnesiumnitrat für zwei Intarsien-Porträts aus der Roentgenwerkstatt im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
- und Natriumchlorid für Tizians ‚Der Zinsgroschen‘ in der Galerie Alter Meister seit über 50 Jahren (VDR-Beiträge 2/2006, S. 77-88).
Durch die Verdrängung ist viel Knowhow im Umgang mit Salzlösungen verloren gegangen. Die theoretischen Überlegungen zum Einsatz müssen auf breiter Basis praktisch neu überprüft werden (Restauro 7/2022, S. 36-39). Kaliumcarbonat (‚Pottasche‘) wurde bisher auch noch nicht in Museen eingesetzt.
Ein entsprechender Praxistest unter Beteiligung namhafter Museen startet jetzt im Sommer und wird an den Kunstsammlungen der Veste Coburg von Dipl.-Rest Heiner Grieb und Katja Siebel M.A. koordiniert. Weitere Teilnehmer sind herzlich willkommen, man benötigt nur Vitrinen und Datalogger und die Salze. Ein Merkblatt zur Teilnahme kann bei profdreggert(at)gmail.com abgerufen werden.
„Nach Vorbild von ‚Citizen Science‘-Projekten sollen die Beobachtungen von möglichst vielen gesammelt werden und bei Projektabschluss in einen Leitfaden für Neu-Anwender münden. So kann jede/r daran mitwirken, eine nachhaltige, passive und ausfallsichere Methode ohne Stromverbrauch zur breiten Anwendung zu bringen. Gute Luft in Vitrinen und gleichzeitig Energie einsparen: Was will man mehr?“ https://www.restauratoren.de/merkblatt-erschienen-einsatz-von-salzloesungen-in-vitrinen
Prof. Dr. Gerhard Eggert
Institut für Konservierungswissenschaften
Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
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