Stichtag: 3. Juni 2019
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat bei der zuständigen EU-Behörde in Brüssel Ende Mai 2019 einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung zum Betrieb der Stickstoff-Generatoren und -kammern (etwa 30 in Deutschland) gestellt. Die Entscheidung wird bereits für den 16. Juni 2019 erwartet. Sollte diese positiv ausfallen, können die Generatoren für den Einsatz zum Erhalt kulturellen Erbes unmittelbar wiedereingesetzt werden.
Alle EU-Staaten, die nach Artikel 55 Absatz 3 der Biozidprodukte-Verordnung für die Verwendung von Stickstoff zum Erhalt von Kulturgut eine Ausnahmeregelung beantragen wollen, mussten dies bis zum Stichtag am 3. Juni 2019 bei der EU-Kommission melden. Dies haben neben Deutschland auch neun weitere Staaten getan.
Problem erkannt – fehlt nur noch die Lösung
Die aktuelle Entwicklung hinsichtlich der EU-Biozid-Verordnung hat in den letzten Monaten viele Akteure im Bereich des Kulturgüterschutzes wachgerüttelt. Die gebündelten, vielfältigen Bemühungen zahlreicher Verbände und Institutionen – darunter auch ICOM Deutschland, die in engem Austausch mit dem VDR standen – finden nun auch auf europäischer Ebene Gehör: Die zuständige Generaldirektion der EU-Kommission und der EU Chemie Agentur (CA) äußerten zumindest Verständnis für die Nöte im Bereich des Kulturerbes.
Zwar blieb die EU Kommission nach jüngsten Informationen formal bei ihrer grundsätzlichen Einschätzung und zieht es derzeit nicht in Erwägung, Stickstoff aus der Biozid-Verordnung wieder herauszunehmen. Dennoch gab es auf der Tagung der Vertreter zuständiger Behörden der EU-/ EWR-Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozid-Produkten (BPR) in Brüssel (der sog. Competent Authority-Ausschuss) am 16. Mai 2019 eine klare Übereinstimmung: Eine praktische Lösung für den Nutzung von Stickstoff zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut muss gefunden werden.
Aber von Anfang an ...
Stickstoff als Biozid
Mit der EU-Biozidverordnung wurde ab 2013 erstmals auch die in situ Erzeugung von Stickstoff erfasst. Die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten stellten unter anderem folgendes fest:
„7. Demnach sind Anträge auf Genehmigung von vor Ort erzeugtem Stickstoff und dessen Zulassung als Biozidprodukt auf der Grundlage von Artikel 93 der Biozidproduktverordnung zu stellen, wenn vor Ort erzeugter Stickstoff als Biozidprodukt nach dem 01.09.2017 entsprechend den nationalen Vorschriften der Mitgliedsstaaten eingesetzt werden soll.“[1]
Heißt für Restauratoren und Denkmalpfleger: Stickstoff, welcher durch Einsatz von Maschinen aus der Umgebungsluft hergestellt (konzentriert) wird, fällt unter die Biozid-Verordnung und dessen Einsatz zur Schädlingsbekämpfung ist nur mit Zulassung möglich.
Zwar wurde auf verschiedenen für Museen bedeutenden Konferenzen[2] über diese erheblichen Änderungen hingewiesen, leider wurde dem Thema anscheinend jedoch nicht ausreichend Beachtung beigemessen. Mit schwerwiegenden Folgen: Eine der schonendsten Methoden, gegen Schädlingsbefall vorzugehen und Kunstwerke langfristig zu erhalten, darf nach der aktuellen Gesetzeslage nicht angewendet werden. So kam es in dem Zusammenhang auch zu Abmahnungen in Deutschland und Österreich und in zwei Fällen zu einstweiligen Verfügungsverfahren. In beiden Fällen entschied das Landgericht Dortmund in separaten Urteilen – leider nicht zugunsten der Beklagten und damit auch nicht im Sinne des Kulturgüterschutzes[3], wenn letzteres auch nicht Gegenstand der Verhandlung war.
Ob das in einem der Fälle laufende Berufungsverfahren eine Änderung des Urteils mit sich bringen wird, steht noch aus.
„Sauerstoffarme Lagerung“ oder „Kontrollierte Atmosphäre“
Die Lagerung von Kunstgütern in kontrollierten Atmosphären (Controlled Atmospheres) unter Sauerstoffentzug zur Verhinderung von Oxidationen an den eingelagerten Materialien, ist bisher nicht explizit verboten. Eine gründliche juristische Prüfung, ob dieses Verfahren unter die Biozidverordnung fällt, steht noch aus. Jedenfalls gelten für eine solche präventive Lagerung andere Zeiträume und Bedingungen als für eine Schädlingsbekämpfungsmaßnahme.
Das oben angesprochene Urteil äußert sich nicht explizit zu diesem Fall.
Und wie geht es weiter?
Nach kurzer Unsicherheit, ob Deutschland fristgerecht reagiert, gab es nun die erleichternde Rückmeldung: Die BAuA, die als staatliche Behörde im Gegensatz zu Verbänden oder Vereinen als einzige berechtigt ist, solche Anträge zu stellen, hat dies rechtzeitig getan. Beantragt wurde die Ausnahmegenehmigung zum Betrieb der Stickstoffgeneratoren. Die Begründung liegt im Wesentlichen darin, dass eben diese Geräte kein Biozid produzieren.
Unser Ziel muss es trotzdem sein, eine generelle Erlaubnis für Stickstoff in der Schädlingsbekämpfung mit sauerstoffarmen Atmosphären zu erhalten. In dieser Richtung wird auch der VDR weiterarbeiten.
Es ist zumindest ein Hoffnungsschimmer, aber es bleibt spannend – sobald uns neue Informationen vorliegen, berichten wir erneut zum Thema.
[1] Dokument der Europäischen Kommission, CA-15.05.-Dok.S.l.b, 60. Treffen der Vertreter der zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten für die Umsetzung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, Kontrolle von vor Ort hergestellten Wirkstoffen im Kontext der Biozidverordnung, Der Fall Stickstoff.
[2] Z. B. die Internationale IPM Konferenz in Wien 2013 und die Internationale IPM Konferenz am Louvre in Paris 2016
[3] „Obwohl es sich bei Stickstoff um eine inerte Substanz handelt, die keine direkte toxikologische Wirkung besitzt und die mit einem hohen Anteil von etwa 78 % in der natürlichen Umgebungsluft vorkommt, hat sich die Europäische Kommission dazu entschieden, Stickstoff als Biozidprodukt zu qualifizieren […]. Wie sich aus Ziffer 2.2.1.1. des Auswertungsberichts vom 28.11.2008 zur Richtlinie 98/8/EG ergibt, lag der Qualifizierung von Stickstoff als Biozidprodukt dabei die Erwägung zugrunde, dass Stickstoff über die physiologische Folge einer einfachen Asphyxie (Erstickung) der Zielspezies im Rahmen der Behandlung einer kontrollierten Atmosphäre wirkt, wobei der kritische Faktor die Sauerstoffkonzentration ist. Mit anderen Worten ausgedrückt hat der europäische Verordnungsgeber Stickstoff, obwohl diesem als solchen keine unmittelbare toxische Wirkung zukommt, als Biozidprodukt qualifiziert, weil er in hoher Konzentration den Sauerstoff verdrängt und so zu einem Ersticken der bekämpften Zielspezies führt. […] Die Verfügungsbeklagte verwendet den Stickstoff somit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 a) als Biozidprodukt und eben nicht zur bloßen physikalischen oder mechanischen Einwirkung.“ (Auszug aus dem Urteil LG Dortmund, Az. 16 O 25/18, Urteil vom 18.10.2018.)
Foto: pixabay
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