„Das Thema der verlorenen Fassungen ist hervorragend geeignet, um über die Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern und Restauratoren zu reden“, sagt Andreas Huth. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Kunstwissenschaften und Historische Urbanistik der TU Berlin muss es wissen, denn er ist nicht nur promovierter Kunsthistoriker, sondern auch Diplom-Restaurator für Wandmalerei und historische Architekturfassung.
Bei der VDR-Fachtagung „Die Fassung bewahren“, die sich im März 2019 mit der Konservierung und Restaurierung polychromer Skulptur beschäftigte, sprach Andreas Huth über das Verhältnis der Kunstgeschichte zu gefassten Bildwerken des Quattrocento. Seinen Vortrag hat der Wissenschaftler mit Doppelkompetenz nun in überarbeiteter Fassung auch in der Ausgabe 1/2020 der Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut veröffentlicht, der Fachzeitschrift des VDR.
In seinem Aufsatz erläutert Andreas Huth, wie es dazu kommen konnte, dass die kunstwissenschaftliche Forschung sich bislang überwiegend auf die dreidimensionalen Qualitäten von Bildwerken konzentriert, obwohl eventuell vorhandene farbige Fassungen eine unverkennbare Bedeutung für das Erscheinungsbild und die Wirkung der Skulpturen haben. Letzten Endes, so stellt sich heraus, kann eine derartige kunsthistorische Missachtung auch praktische Restaurierungsentscheidungen beeinflussen.
Bei italienischen und vor allem Florentiner Bildwerken des 15. Jahrhunderts lässt sich dies beobachten. Hier fielen im Laufe der letzten 150 Jahre Farbfassungen von Bildwerken Restaurierungen zum Opfer, wobei in „vielen Fällen die Abnahme willkürlich erfolgt zu sein scheint“, wie Andreas Huth bemerkt. Er erkennt eine „Skepsis oder gar Geringschätzung gegenüber Fassungen an sich“ und zeichnet im Folgenden die ambivalente Haltung der Kunstgeschichte gegenüber gefassten frühneuzeitlichen Bildwerken aus Italien nach.
Hier hatten sich im Laufe der Entstehung moderner Sammlungen Hierarchisierungen entwickelt, die zwischen Kunst und Kunsthandwerk trennten und die als „echte“ Kunst akzeptierten Objekte den Gattungen Malerei und Bildwerke zuordneten. Hinzu kam der sogenannte Paragone-Streit, der die Frage der Vorrangstellung von Malerei oder Bildhauerei zum Gegenstand hatte. Dabei wurden jedoch – aus heutiger Sicht erstaunlich – monochrome Steinskulpturen mit Tafelmalerei verglichen und die seinerzeit omnipräsenten polychromen Bildwerke völlig unterschlagen. Das führte schließlich dazu, dass der künstlerische Rang von Werken aus Holz, Ton, Stuck oder Cartapesta sowie gefasste Bildwerke in Frage gestellt wurden. „Somit verweigerte die Kunstgeschichte den gefassten Bildwerken des Quattrocento auf Grundlage eines starren Gattungsmodells lange Zeit die gebührende Anerkennung.“
Dass sich diese Position in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt habe, verdanke die Kunstgeschichte vor allem auch Restauratoren, die sich ab den 1960er Jahren auf Basis strenger konservatorischer Standards verstärkt mit der Erhaltung von Fassungen auseinandergesetzt hätten und so wertvolle Erkenntnisse zu Ausführungen, den Materialien und zur ursprünglichen Wirkung gewinnen konnten. Ab Mitte der 2000er Jahre habe das Interesse an polychromen Bildwerken sogar einen geradezu sprunghaften Anstieg erlebt.
Andreas Huths Aufsatz ist ein Plädoyer für die Überwindung von überkommenen Sichtweisen. Das gilt für starre Gattungsgrenzen, Materialhierarchien und ästhetische Prämissen, aber auch für die Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern und Restauratoren. Nötig sei jedoch mehr als nur die gegenseitige Akzeptanz, sondern die Achtung vor der spezialisierten Arbeit des anderen. „Eine Zusammenarbeit sollte man als Chance begreifen.“
Der Beitrag „Fassung verloren.“ ist in Heft 1/2020 der Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut nachzulesen. Für VDR-Mitglieder kostenlos im Downloadbereich des internen Mitgliederbereiches zu finden oder im VDR-Shop.
Text: Gudrun von Schoenebeck