Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie arbeiten an einem Museum und betreuen ein zeitgenössisches Kunstwerk in einer Ausstellung. Sagen wir, es handelt sich um einen Stapel gedruckter Poster, die von den Ausstellungsbesucher*innen mitgenommen werden sollen. Ein einfaches Beispiel einer konzeptuellen Arbeit, die so oder so ähnlich in zahlreichen Museen existieren könnte. Nun wird die Arbeit angekauft und Sie kommen nicht um die Frage herum: Was an dem Kunstwerk muss jetzt erhalten werden?
Allein an diesem eigentlich relativ simplen Beispiel zeichnen sich zahlreiche Fragestellungen ab, die für die Erhaltung zeitgenössischer Kunst relevant sind. Was ist der Kern des Werkes, die sogenannte Werkidentität? Sind es die Poster, die als Objekte in Museen präsent sind? Ist es die Interaktion der Besucher*innen mit dem Werk? Oder sind es vielleicht die Poster, die danach in vielen Haushalten die Kücheneinrichtung stilvoll ergänzen? Oder die Kombination aus all dem? Und wie wird das Werk bei der nächsten Präsentation aussehen? Ist die Art des Papiers relevant? Die Drucktechnik? Die Person, die den Druck ausführt? Wie kann die digitale Dateivorlage, die für den Druck verwendet werden soll, die nächsten 100 Jahre überstehen?
Der Weg zur Entscheidungsfindung bei der Erhaltung konzeptueller Kunst ist, wie in jeder Restaurierungsdisziplin, komplex. Bereits die Klärung der Werkidentität ist ein zeitaufwendiger und vielschichtiger Prozess, der ohne eine interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich ist. Aber was bedeutet interdisziplinär? Und wie interdisziplinär können wir noch werden?
Diesen Fragen ist die MACCH Conference 2019 “Bridging the Gap. Theory and Practice in the Conservation of Contemporary Art“ nachgegangen. Innerhalb von vier Tagen wurden unter anderem die Ergebnisse von 15 PhD-Studierenden und drei Jahren Forschung präsentiert. Die Tatsache, dass hierbei nur sieben Restaurator*innen vertreten waren, scheint vielleicht anfangs irritierend, ist aber tatsächlich eine große Stärke dieses Projektes. Denn durch das gleichwertige Zusammenspiel von Konservierung-Restaurierung, bildender Kunst, Kunstgeschichte, Ontologie und Naturwissenschaften ist ein wirklich interdisziplinäres und neues Themenspektrum entstanden. Viele der Forschungsarbeiten basieren dabei auf Methoden der Humanwissenschaften und beleuchten, reflektieren und evaluieren vermeintlich bekannte Situationen und Strukturen unseres Arbeitsalltags völlig neu. Diese Überbrückung der Disziplinen, ob in Museen, Sammlungen oder Forschungseinrichtungen, erlaubt eine umfassendere Sicht auf die Kunstwerke und eröffnet damit weitere Möglichkeiten zur Klärung von Werkidentität und -bedürfnissen, um schließlich langfristige Präsentations- und Erhaltungsstrategien zu definieren.
Die Tagung hat gezeigt, wie bereichernd und belebend die gemeinsame Forschung für die berufliche Praxis sein kann und wie essentiell doch der (mindestens) gelegentliche Blick über den Tellerrand der Restaurierung ist. Nicht nur um fachliche Fragestellungen zu lösen, sondern auch um die Kommunikation zwischen den verschiedenen Disziplinen noch weiter zu stärken.
Abschließend möchten wir alle Interessierten ermuntern, einen Blick in die Forschungsthemen zu werfen (http://nacca.eu/conference-2019/). Wir freuen uns schon jetzt auf die kommenden Veröffentlichungen der Dissertationen und bedanken uns für die herrliche Zeit in Maastricht.
Jonathan Debik & Leonie Colditz