Die Fachgruppe Wandmalerei und Architekturoberflächen lud am 5. und 6. April 2019 zur Fachexkursion nach Ostwestfalen in die Region Soest ein. Über zwei abwechslungsreiche Tage berichten Heike Wehner und Sven Taubert.
Seit der VDR Mitgliederversammlung 2017, auf der die Mitglieder über die Exkursionen der nächsten Jahre berieten, waren wir in Kontakt mit unserer Kollegin Heike Wehner, die uns mit Begeisterung von den romanischen Wandmalereien im Raum Ostwestfalen erzählte. Auslöser war das Wandmalerei-Forschungsprojekt „BILDWELTEN-WELTBILDER“ des Landschaftverbandes Westfalen-Lippe (LWL) aus den Jahren 2013-2016. In diesem Projekt wurde der außergewöhnliche reiche Bestand der romanischen Wandmalereien von der Kunsthistorikerin Dr. Anna Skriver und der Diplomrestauratorin Katharina Heiling umfassend untersucht und dokumentiert.
Erst im Herbst 2018 nahmen die Vorbereitung für diese Exkursionen konkrete Formen an, denn Heike Wehner wiederholte die Einladung nach Soest im Rahmen des Fachgruppentreffens auf der Leipziger Messe DENKMAL. Heike Wehner ist als Diplom-Restauratorin seit 2013 bei der die Fa. ars colendi angestellt und arbeitete in Ostwestfalen an verschiedenen romanischen Kirchenbauten.
Am Freitag, dem 05. April 2019, reisten 21 Teilnehmer nach Arnsberg - Treffpunkt war Kloster Wedinghausen:
Die Begrüßung erfolgte in der ehemaligen Klosterkirche durch Frau Dr. Bettina Heine-Hippler, der zuständigen Denkmalpflegerin des LWL aus Münster. Frau Dr. Heine-Hippler betreut federführend die Sanierung und Restaurierung des Klosters seit über 5 Jahren.
Wir freuten uns über Ihre Bereitschaft, unsere Gruppe am Freitagnachmittag über die Baustelle zu führen und profitierten von ihren detaillierten Kenntnissen der Objektgeschichte.
Zunächst erfolgte eine Einführung in die Geschichte des 1173 gegründeten Klosters: Graf Heinrich I. von Arnsberg gründete das Prämonstratenserkloster auf einer Felsnase oberhalb der Ruhr, die einen großartigen Ausblick auf die Umgebung bietet. Er selbst wurde dort begraben und in der Folgezeit auch seine Nachfolger. Im Ostflügel des Klosters ist der Kreuzgang mit fragmentarischen Wandmalereien des 13. Jh. im Gewölbe erhalten. Diese wurden 1960 freigelegt und lediglich formal in neutralen Grautönen ergänzt. Eine Reinigung und Konservierung ist aktuell geplant.
Vom Kreuzgang aus gelangten wir in den Kapitelsaal mit einer ausgemalten Grabkammer unter dem Fußboden, die seit ihrer archäologischen Entdeckung 2018 die eigentliche Sensation des Klosters ist. Um 1320 wurde die in der Mitte des Kapitelsaales gelegene Grablege umgestaltet. Die Wände der gemauerten Kammer sind mit einer Kreuzigungsszene sowie Ranken geschmückt, die stilistische Vorbilder in Flandern haben und in Westfalen einzigartig sind. Von weiteren Figuren sind nur noch die Füße vorhanden. Es handelt sich um eine Freskomalerei von faszinierender Leuchtkraft. Leider sind durch spätere Umbauten und die Plünderung des Klosters und des Grabes 1803 große Teile zerstört worden. Zurzeit werden die Wandmalereien partiell hinterfüllt und fehlende Teile der Kammerwände neu vermauert. Angestrebt ist eine Präsentation unter einer Glasplatte. Neben dem Kapitelsaal befand sich ursprünglich ein beheizbarer Raum, dessen aufwendige Steinkammer-Warmluftheizung des 12.Jh. eine weitere archäologische Besonderheit darstellt. Im Obergeschoss waren die laufenden Sanierungsarbeiten mit einer Lehmputzwandheizung (21. Jh.). zu sehen sowie ein weiterer Raum, in dem Frau Wehner die sehr komplizierte Baugeschichte und Befundlage des Ostflügels erörterte.
Dankend verabschiedeten wir uns von Frau Heine-Hippler und genossen die Gastfreundschaft der religiösen Gemeinschaft Shalom (die zukünftigen Nutzer des Klosters) in deren nahegelegem Cafe. Beim Abendessen versammelte sich die Reisegesellschaft in gelöster Atmosphäre bei anregenden Gesprächen im traditionellen Soester Brauhaus Zwiebel.
Am Samstagmorgen trafen sich alle Teilnehmer an der kleinen katholischen Nikolaikapelle in Soest:
Hier wurden wir begrüßt von der Diplomrestauratorin Katharina Heiling, die im Auftrag des LWL für das Forschungsprojekt „BILDWELTEN – WELTBILDER“ die gesamten restauratorischen Befunduntersuchungen durchgeführt hatte.
Die am Ende des 12. Jh.s fertiggestellte Kapelle wurde erst in der Mitte des 13. Jh.s in Chorjoch und Apsis figürlich bemalt. „Die reiche spätromanische Bemalung des Chores mit einem sowohl die Wände wie die Gewölbe von Chorjoch und Apsis überziehenden, inhaltlich komplexen Ausmalungssystem im sogenannten Zackenstil ist in ihrer künstlerischen Qualität und ihrem Erhaltungszustand ein Denkmal von allerhöchstem Rang.“ (A. Skriver)
Katharina Heiling berichtete detailliert über die maltechnischen Besonderheiten, auch anhand von Fotovergrößerungen von UV- und Nahaufnahmen.
Es handelt sich um einlagigen Kalkputz von nur 1-2 mm Stärke. Daher muss man von einer freskalen Anlage der Malerei mit Weiterführung in Seccotechnik ausgehen. Ritzungen der Nimben und Putzgrenzen sind im Streiflicht deutlich erkennbar.
An Nimben, Thron und Evangelistensymbolen sind Hackspuren feststellbar die als Vorbereitung für heute verlorene Putzapplikationen gedeutet werden können.
Unter UV-Strahlung waren ehemals vergoldete Bereiche durch hellgelbe Fluoreszenz ablesbar.
Bei genauem Hinsehen ist auch noch die feine Zeichnung der Lichthöhungen der Gewänder erkennbar.
Neben der beeindruckenden Gestalt der Apostel und Erzengel fällt besonders die Darstellung des Hl. Nikolas auf der Südwand des Chorjoches ins Auge, sowohl seine prächtigen Gewänder als auch der heranfliegende Engel, der ihm die Mitra aufsetzt, und die im Fußraum dargestellten Episoden seiner Vita sind hervorragend lesbar.
Die im Vergleich zur Apsis ältere Raumfassung der Nikolaikapelle zeigt zum Teil die für die westfälischen Romanik typischen Merkmale und stellt das Bindeglied zu den weiteren Programmpunkten der Exkursion dar: einerseits die Architekturmalerei in Form von die Fenster begleitenden Säulen, andererseits die Gewölbegestaltung bei der nicht die Kreuzgrate betont werden, sondern gemalte ornamentale Gurtbögen, die die Jochgrenzen betonen.
Nach einem kurzen Fußweg durch die Fachwerkstadt Soest erreichen wir die evangelische Hohnekirche, auch Maria zur Höhe genannt. Der für das Kreiskirchenamt in Soest zuständige Dipl.-Ingenieur Dirk Pieper begrüßt uns vor der außergewöhnlichen Kirche und berichtet von den aktuellen Sanierungsmaßnahmen im Außenbereich. In Soest bestehen die meisten Steinbauten aus sogenanntem Grünsandstein aus lokalem Abbau aus Anröchte oder Erwitte. Die charakteristische grüne Farbe bestimmt das Stadtbild, die speziellen Verwitterungseigenschaften bedingen die regelmäßigen und aufwendigen konservatorischen Maßnahmen.
Es handelt sich um eine Hallenkirche des 2. Viertels des 13. Jh.s mit reicher Ausmalung und Ausstattung, bei der als einzige der Soester Kirchen noch die Rekonstruktion der mittelalterlichen Raumfassung des 19.Jh. vorhanden ist. Hierdurch entsteht ein stark farbiger, vollständiger Gesamteindruck einer „romanischen“ Ausmalung.
Im Inneren erklärte neben Herrn Pieper auch Restaurator Andreas Ahlers von der Fa. Ars Colendi die besondere Bau- und Restaurierungsgeschichte der Gewölbe, Wand und Apsismalereien.
Der Schwerpunkt lag dabei auf der 2014 restaurierten Heilig-Grab-Nische, die damals umfassend untersucht wurde. Herr Ahlers verdeutlichte aufgrund von historischen Fotografien die Tatsache, dass 95 % der Ausmalung des Innenraumes eine Rekonstruktion darstellen. In der Heilig-Grab-Nische sind unter jüngeren Übermalungen aber noch größere Teile der ursprünglichen Malerei vorhanden. In diesem Zusammenhang beantwortete Frau Wehner Detailfragen zur Konservierung und Restaurierung dieser Nische.
Zu bewundern waren weiterhin sowohl die restaurierten wie auch rekonstruierten Ausmalungen des Katharinenchores und in der Apsis.
Nach einem weiteren Spaziergang durch die Altstadt gelangten wir zur evangelischen Petrikirche:
Die direkt neben dem Soester Dom stehende Petrikirche wurde um 1150 als Basilika erbaut und im 13. Jh zur Hallenkirche aufgestockt. Das derzeitige Erscheinungsbild geht auf eine Restaurierung der 1960er Jahre durch den bekannten Restaurator Günter Göge zurück.
Dort trafen wir den Statiker Dipl.-Ingenieur Günther Rohrberg der auf die Problematik der Setzrisse der Gewölbe des südlichen Seitenschiffes einging. Während der Restaurierung im Jahre 2013 wurde ein auf der gesamten Südseite verlaufender, 2-5cm breiter Riss im Gewölbescheitel mit Keilen verspannt, anschließend von oben her vermörtelt und von unten mit Trasszementmörtel verpresst. Herr Rohrberg erklärte, dass der Untergrund der Petrikirche statisch unzureichend solide ist, was dazu führt, dass die südliche Außenwand aus dem Lot gerät. Er drückte seine Bewunderung darüber aus, dass das Gewölbe trotz mangelnder Adhäsion hält. In diesem Zusammenhang entstand eine Diskussion unter den Teilnehmern über die Verwendung von Heißkalk zum Verschließen von Rissen, wobei sich die Volumenvergrößerung des Materials im Riss bei der Verfestigung positiv auswirkt. Mit diesem Verfahren hat auch Herr Rohrberg gute Erfahrungen gemacht. Heike Wehner zeigte ein Video des Rissverlaufes und berichtete über die Restaurierung des Innenraumes mit Reinigung und Festigung der Malereien. Hier begegnet uns das Dekorationssystem des 12. Jh.s mit gemalten Arkaden an den Fenstern und den ornamentalen Bändern mit Palmetten und Blattranken im Gewölbe. Typischerweise wurden die gratbegleitendenden Bänder im ursprünglichen Kalkanstrich ausgespart und in freier, freskaler Malerei mit Palmetten und Blattmotiven verziert. Als Untergrund der Ornamentbänder ist der graue Putzton sichtbar.
Nach einer einstündigen Mittagspause mit Backfisch oder anderen Leckereien nach Wahl vom bunten Soester Wochenmarkt wurde nach kurzer Autofahrt Bad Sassendorf-Weslarn erreicht:
Die evangelische St. Urbanuskirche von 1170 ist die zweitälteste Hallenkirche der Soester Börde und beinhaltet eine reiche ornamentale Ausmalung - figürliche Malereifragmente sind in der heutigen Sakristei zu finden.
Sankt Urbanus war Teil des Projektes BILDERWELTEN-WETBILDER und wurde von Katharina Heiling umfassend untersucht.
In der heutigen Sakristei, eine ehemalige Grabkapelle, sind Fragmente einer figürlichen Ausmalung (2. Hälfte 12. Jh.) von einer ausgesprochen hohen malerischen Qualität erhalten. Es handelt sich um zwei weibliche Heilige, deren Vorzeichnung mit gelbem Ocker erfolgte. Frau Heiling beschreibt detailliert die aufwendige mehrlagige Maltechnik mit breiten Schattenkonturen in dunklem Ocker und präzisen Lichtlinien. Die Nimben zeigen unter UV-Licht Reste des Anlegeöls der ehemaligen Vergoldungen. Als Pigmente konnten Zinnober, Lapislazuli und Kupfergrün nachgewiesen werden.
Der Kirchenraum selbst wurde Mitte des 13. Jh. neu errichtet. Frau Heiling erklärt die Farbfassung der Mittelschiffgewölbe mit roten Ornamentbändern, wobei anders als in den meisten anderen romanischen Kirchen der Region hier die Grate ornamental betont sind.
Oberhalb der Kämpfer sind einzelne Rankenfiguren erhalten, darunter an einem Mittelschiffpfeiler die drastische allegorische Darstellung der „Unkeuschheit“.
In der Nordapsis befindet sich eine Marienkrönung die als Kalkmalerei ausgeführt wurde. Die Vorzeichnung und Teile der Binnenzeichnung haben sich noch mit der feuchten Kalktünche verbunden, während größere Partien als Seccomalerei ausgeführt wurden und daher schlechter erhalten sind. Die Nimben wurden mit vertieften Putzmodulationen gestaltet. Der Kopf der Maria ist das Eergebnis einer Überarbeitung aus den 1950er Jahren.
Zum Abschluss der Exkursion besuchten wir die evangelische St. Andreaskirche in Ostönnen:
Diese kleine Dorfkirche zeigt sowohl figürliche Darstellungen aus der Zeit um 1170 an der Westwand als auch von etwa 1250 in der Apsiskalotte. Die Kirche war Teil des Forschungsprojektes und wurde im Anschluss 2016 durch die Fa. ars colendi restauriert. Zunächst berichtete Katharina Heiling über die maltechnischen Befunde, danach Heike Wehner über die durchgeführten Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen. In Ostönnen gehen gebaute und gemalte Architektur in Form von farbigen horizontalen Bändern und gemalten Arkaden der Obergaden eine besonders gelungene Verbindung ein. Die Gliederung der Gewölbe beruht auf dem bekannten System der putzfarbigen Gratbegleitbänder. Die figürliche Malerei der Westwand zeigt Parallelen zur Sakristei von St. Urbanus, während die Apsiskalotte im Zackenstil eher Gemeinsamkeiten mit der Nikolaikapelle aufweist. Die Darstellung der Westwand mit Kain und Abel, die einen gemalten Teppich flankieren, an dessen Oberkante sich noch ein Medaillon mit Gottvater befindet, ist ein kunstgeschichtliches Highlight. Es handelt sich um eine Freskomalerei, deren secco aufgetragene Details verloren gegangen sind und daher die im Teppich vorhanden interessanten Fabeltiere nur aus der Nähe fragmentarisch erkennbar sind.
Der Schwerpunkt der Konservierungsmaßnahmen lag auf der Trockenreinigung aller Oberflächen sowie der Putzfestigung mit dispergiertem Weißkalkhydrat. Die zurückhaltende Farbigkeit der Restaurierung der 1960er Jahre wurde weitgehend beibehalten. Die verschiedenen Arbeitsschritte wurden von Heike Wehner in einer Powerpoint-Präsentation vorgestellt.
Zum Ausklang des Programms stellte Herr Dr. Helmut Reineke - Vertreter des Fördervereins Ostönnen - die sehr besondere Orgel von 1430 (!) vor. Dazu waren mehrere musikalische Kostproben zu hören. – Eine wunderbare Kombination!
Einige Teilnehmer traten noch am Abend die Heimreise an, andere genossen den Exkursionsausklang bei einem zünftigen Abendessen im Restaurant Pilgrim, dem ältesten Gasthaus von Soest.
Die Fachgruppe bedankt sich sehr herzlich bei den Ideengebern, Organisatoren, Referenten und Teilnehmern für 2 ereignisreiche Exkursionstage in Ostwestphalen mit hochinteressanten Inhalten zu einem spannenden Wandmalerei-Projekt in einer sehr reichen Kulturlandschaft.
Heike Wehner
Sven Taubert
Literaturhinweis:
Anna Skriver und Katharina Heiling : Bildwelten-Weltbilder Romanische Wandmalerei in Westfalen. Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2017
ISBN: 978-3-8053-50921
Das Programm der Exkursion als PDF ist in voller Länge auf der Tagungsseite abrufbar.