Restaurierung von Kulturgut im digitalen Zeitalter

Die Erleichterung ist ihnen ins Gesicht geschrieben: Dr. Phil. Dipl.-Rest. Ursula Schädler-Saub, Professorin der HAWK-Fakultät Bauen und Erhalten, und Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Instituts, haben bereits viele Tagungen erfolgreich durchgeführt, aber noch nie online und noch nie mit 600 Teilnehmenden aus 27 Ländern. Diese war nun sehr erfolgreich, vielleicht sogar noch nachhaltiger als alle bisherigen, da durch das Format alle Interessierten teilnehmen konnten. Ein Nachbericht zur ersten Online-Tagung der HAWK.

Ein Nachbericht zur Online-Tagung der HAWK 

Das Fragment im digitalen Zeitalter

Die Erleichterung ist ihnen ins Gesicht geschrieben: Dr. Phil. Dipl.-Rest. Ursula Schädler-Saub, Professorin der HAWK-Fakultät Bauen und Erhalten, und Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Instituts, haben bereits viele Tagungen erfolgreich durchgeführt, aber noch nie online und noch nie mit 600 Teilnehmenden aus 27 Ländern. Diese war nun sehr erfolgreich, vielleicht sogar noch nachhaltiger als alle bisherigen, da durch das Format alle Interessierten teilnehmen konnten.

Und genau das begrüßten die beiden Wissenschaftlerinnen, denn ihr Ziel war nicht nur der Informations- und Erfahrungsaustausch, sondern angesichts der umwälzenden Veränderungen durch die digitalen Techniken wollten sie mit der Tagung auch die gemeinsame Entwicklung eines praxistauglichen Grundsatzpapiers zum Umgang mit dem Fragment in der Restaurierung und der Denkmalpflege anstoßen – und das gelang ihnen.

Die Abschlussdiskussion mit dem Auditorium, von links nach rechts: Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub (HAWK), Prof. Jan Raue (FH Potsdam), Max Rahrig (Bamberg) sowie Prof. Stephan Schwingeler (HAWK), oben: Barbara Hentschel, Christine Fiedler, Dr. Angela Weyer und Miriam Gáyer (HAWK, Hornemann Institut)
Die Abschlussdiskussion mit dem Auditorium, von links nach rechts: Prof. Dr. Ursula Schädler-Saub (HAWK), Prof. Jan Raue (FH Potsdam), Max Rahrig (Bamberg) sowie Prof. Stephan Schwingeler (HAWK), oben: Barbara Hentschel, Christine Fiedler, Dr. Angela Weyer und Miriam Gáyer (HAWK, Hornemann Institut)

Skizze für neue Leitlinien steht nun allen zur Diskussion offen.

Bereits am Anfang der Tagung präsentierte Ursula Schädler-Saub nach ihrer Keynote zur Definition und Geschichte des Fragments und seiner Rezeption in Theorie und Praxis eine Skizze zu den „Leitlinien zur Nutzung digitaler Techniken in der Konservierung-Restaurierung und bei der Präsentation von Fragmenten“, verfasst von einem interdisziplinären Autorenteam. In einer ersten Diskussion während der Tagung kamen nun bereits wichtige Kommentare durch viele Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Kulturkreisen hinzu. Inzwischen ist die Skizze an viele Restaurierungsverbände anderer Länder versendet, die sie wiederum an ihre Mitglieder verbreiteten.

Relevanz

Die Notwendigkeit von klar und knapp formulierten Leitlinien für den Umgang mit Fragmenten ist offensichtlich, da die bisherigen Dokumente zur Ethik der Restaurierung die neuen Möglichkeiten der digitalen Transformation nicht wirklich abdecken. Denn die Digitalisierung verändert auch die Arbeit rund um die Erhaltung von Kulturgut. Um auch in Zukunft wissenschaftliche Standards nachhaltig zu sichern, müssen sich Restaurator*innen, Denkmalpfleger*innen, Sammlungsbeauftragte und die mit ihnen zusammenarbeitenden Kolleg*innen von Nachbardisziplinen der Herausforderung stellen und die digitale Transformation sowie die daraus resultierenden Anforderungen proaktiv gestalten.

Deshalb organisierten die beiden Wissenschaftlerinnen, vielfältig unterstützt von Kolleg*innen an der HAWK, vom Freitag, 07. Mai 2021, bis Samstag, 08. Mai 2021, die interdisziplinäre Tagung „Das Fragment im digitalen Zeitalter. Möglichkeiten und Grenzen neuer Techniken in der Restaurierung“.

Vorträge

Auf der Grundlage eines internationalen Call for Papers luden sie Fachleute aus acht verschiedenen Ländern ein. Diese kamen aus den Fachdisziplinen Konservierung/Restaurierung, Kunstgeschichte, Architektur, Archäologie, Denkmalpflege, Informatik des Bauingenieurwesens und der Wahrnehmungspsychologie, denn – so war sich das Vorbereitungsteam einig – nur interdisziplinär kann man gut vorankommen.

Und so war es denn auch die Keynote des Wahrnehmungspsychologen Stefan Schwan, die vielen zu denken gab. Insbesondere sein Hinweis, dass etwas Lückenhaftes, wenn es nicht zu unvollständig ist, die Aufmerksamkeit der Besucher besonders auf sich zieht: Das Bruchstückhafte fordere zur Erklärung, zur Deutung, zur jeweils neuen und aktuellen Aneignung heraus. Besucher legten großen Wert darauf, dass Ergänzungen so gekennzeichnet werden, dass sie vom Betrachter deutlich vom originalen Fragment unterschieden werden können. Aus wahrnehmungs- und lernpsychologischer Sicht böte Augmented Reality wegen der Möglichkeit verschiedener Zusatzinformationen eine Reihe von Vorteilen gegenüber materiellen Ergänzungen.

Erweitert wurden die Grundlagenvorträge um viele Fallbeispiele, welche die breite Palette der bereits praktizierten Einsatzgebiete digitaler Techniken aufzeigten:

  • zur Untersuchung des Bestandes und von Schadensprozessen,
  • zur Erforschung, zum Beispiel von historischen Materialien und Techniken,
  • zur Dokumentation,
  • zum Monitoring,
  • zur Visualisierung, beispielsweise einer Teilintegration eines fragmentarisch überlieferten Werkes,
  • zur Rekonstruktion, etwa unterschiedlicher Gestaltungsphasen eines Objekts inklusive verschiedener Fassungen,
  • zur Darstellung verschiedener Forschungshypothesen,
  • sowie zur Präsentation und Vermittlung.

Desiderate

Die Fallbeispiele zeigten viel Verbesserungspotential hinsichtlich von Hard- und Software auf. Zwei Punkte wurden aber immer wieder hervorgebracht:

Zum einen war der Wunsch nach Forschung groß, die sich um die wissenschaftliche Validität von digitalen Modellen bemüht. Hierbei wird der Grad aufgezeigt, bis zu dem eine digitale Rekonstruktion eines Fragments auf wissenschaftlich verlässlichen Quellen basiert. Dabei stellte sich oft die Frage, wie man die Unterscheidbarkeit zwischen rekonstruierten Bereichen, die auf gesicherten Befunden beruhen, und solchen, die auf Analogien oder Hypothesen gründen, für Fachleute und Laien gewährleistet.

Zum anderen kam immer wieder der Wunsch nach Integration des Themas in die Lehre und Weiterbildung auf, damit Studierende und Fachleute den neuen Herausforderungen konzeptuell und technisch gewachsen sind. Auch eine digitale Plattform für einen Austausch an Erfahrungen steht auf der Wunschliste vieler freiberuflich Tätiger. Angela Weyer verwies hier auf ein von der EU-Kommission vorbereitetes Europäisches Kompetenzzentrum zur Erhaltung des kulturellen Erbes, das Fachwissen, Beratung und Dienstleistungen mit einem besonderen Schwerpunkt auf 3D-Technologien bereitstellen soll. Zudem sollen dort Best Practices für Metadaten, Standards und Richtlinien gesammelt, analysiert und gefördert werden. Deutschland baut gerade eine Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) auf, deren Ziel die systematische Verwaltung von Forschungsdaten, also die langfristige Speicherung, Sicherung und Verfügbarkeit sowie die Vernetzung dieser Daten auf nationaler und internationaler Ebene ist.

Tagungspublikation

Fast alle Beiträge und Poster sind in einem von Ursula Schädler-Saub und Angela Weyer herausgebrachten Preprint auf 320 Seiten nachzulesen. Der Band ist beim Bäßler Verlag als 21. Band der Schriften des Hornemann Instituts erschienen und kann für 39,80 Euro beim Hornemann Institut oder über den Buchhandel bezogen werden.

Diskussion über die Skizze der neuen Leitlinien

Bis zum 31. Mai sind nun alle Interessierten Kolleg*innen herzlich eingeladen, unter service@hornemann-institut.de mit den Autor*innen der Skizze in Kontakt zu treten und diese zu verbessern oder zu ergänzen. Weitere Informationen zur Tagung mit der Skizze der Leitlinien finden Sie auf der Tagungs-Website.

Die nächsten Schritte

Wohl noch im Laufe des Junis wollen die Autor*innen die Kommentare in die Leitlinien einarbeiten. Diese sollen dann mit DOI auf den Webportalen aller drei Kooperationspartner der Tagung (Hornemann Institut der HAWK, ICOMOS AG Konservierung-Restaurierung und Verband der Restauratoren) publiziert und über Meldungen weltweit verbreitet werden.

Im Juli will die türkische Architektin Nihan Kocaman Pavlovic ihren Vortrag als Aufsatz im Webportal des Hornemann Instituts mit DOI publizieren. Sie untersuchte den Umgang mit archäologischen Stätten in Europa kritisch und zeigte die neuen Möglichkeiten der Dokumentation und Präsentation unter Verwendung digitaler Techniken auf. In diesem Fachportal werden im Sommer auch die englischen Übersetzungen der Keynotes von Ursula Schädler-Saub und Stefan Schwan weltweit kostenfrei zur Verfügung stehen.

Wie sehen die zukünftigen Tagungsformate aus?

„Für die geplanten Leitlinien erwies sich das Online-Format geradezu als ideal, weil es die größtmögliche Partizipation ermöglichte“, freut sich Ursula Schädler-Saub. „Wir profitierten sehr von dem Einsatz unserer Kolleg*innen Barbara Hentschel, Christine Fiedler, Hannah Emmerich, Miriam Gáyer (Hornemann Institut), Birgit Wittenberg (eLearning-Team) und Roger Skarsten (HAWK plus), die im Hintergrund alle Teilnehmenden so vielfältig und erfolgreich unterstützten.“ Angela Weyer ergänzt: „Unsere Teilnehmenden fragen immer mehr nach Hybridveranstaltungen, was wir gut verstehen. Diese große Lizenz konnten wir durch die Förderung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK) gut erwerben, aber die vielen zusätzlichen Arbeitsstunden fürs Digitale werden zu einem Problem. Es wird sein wie beim Einsatz digitaler Techniken in der Restaurierung: Wir werden versuchen, das alles erneut zu ermöglichen, wenn es einen entsprechenden Mehrwert bringt. Aber unser nächste Großtagung zu St. Godehard in Hildesheim im September 2022 wird eine reine Präsenzveranstaltung sein.“

Quelle: Pressemitteilung der HAWK, Sabine zu Klampen

Ansprechpartner*innen:

Prof. Dr. Dipl.-Rest. Ursula Schädler-Saub, Fakultät Bauen und Erhalten
Dr. Angela Weyer, Hornemann Institut der HAWK

Tagungsplakat. Foto des Fragments: Dommuseum Hildesheim; 3-D - Rekonstruktion: HAWK (Christine Fiedler)/ Gestaltung: CI/CD-Team der HAWK

Das Hornemann Institut der HAWK 2019 schuf für die Tagung eine digitale Teilrekonstruktion der Arkatur, zu sehen auf dem Tagungsplakat. Dafür digitalisierte sie das Fragment mittels Photogrammmetrie, berechnete daraus dann ein 3D-Modell und modellierte es anschließend nach (Bild: C. Fiedler)