Ein Rückblick auf das erste Arbeitssicherheitsseminar des VDR
von Karin Krüger
Die Interessengruppe der Selbstständigen und Freiberufler:innen sowie die Landesgruppe Baden-Württemberg des VDR haben am Samstag, den 8. Mai 2021 zu einem ganztägigen Seminar zum Thema „Arbeitssicherheit“ eingeladen. Der Untertitel „Basiswissen für den restauratorischen Alltag“ dürfte für die meisten der 86 Teilnehmenden durchaus ansprechend gewesen sein, denn die Flut der Verordnungen, Gesetze und Regelungen zum Thema hat sicher manche:n bereits herausgefordert.
Nach den Grußworten der Sprecherin der VDR-Interessensgruppe Ines Frontzek, Prof. Roland Lenz von der ABK Stuttgart und der Vorsitzenden der VDR-Landesgruppe Baden-Württemberg Claudia Hirschfeld-Schick startete die Veranstaltung mit den insgesamt acht einstündigen Vorträgen. Durch das in Form eines Zoom-Webinars online durchgeführte Seminar führten Claudia Hirschfeld-Schick und Claudia Koch. Sie und die meisten Referierenden waren in Stuttgart an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste unter Einhaltung der Coronaverordnung zusammengekommen, wo Prof. Roland Lenz dankenswerterweise die Räumlichkeit für die Hybridveranstaltung zur Verfügung stellen konnte. Mit der technischen Ausstattung und der Übertragung war die Firma B.I.M. aus Esslingen beauftragt. Das zugeschaltete Publikum hatte die Möglichkeit, über den Chat Fragen zu stellen, welche die Moderatorinnen direkt an die Referierenden weiterreichten.
Unfallversicherung
Zum Einstieg in das große Themenfeld der Arbeitssicherheit und des Arbeitsschutzes berichtete Stefan Hermann von der Berufsgenossenschaft Holz und Metall. Von der Geschichte der gesetzlichen Unfallversicherung über die Struktur der Berufsgenossenschaft bis zu den wichtigsten gesetzlichen Pflichten der Unternehmen war es eine gute Zusammenfassung der vielfältigen Möglichkeiten, über die Berufsgenossenschaften Unterstützung in Fragen des Arbeitsschutzes zu erhalten. Der eindringliche Appell, sich einer bzw. „seiner“ Berufsgenossenschaft anzuschließen, selbst wenn noch keine Mitarbeitenden im Betrieb tätig sind, war deutlich.
Das Umsetzen gesetzlicher Pflichten
Wie die gesetzlichen Maßgaben in einem Betrieb konkret umgesetzt und die Aufgaben eingeteilt werden können, legte Simon Kirnberger, Sicherheitsingenieur aus München, anschaulich dar. Dabei lag einerseits der Fokus auf den Pflichten und Verantwortlichkeiten des Unternehmens gegenüber der Belegschaft (Stichwort Gefährdungsbeurteilung), andererseits auf den Möglichkeiten, bestimmte Aufgaben zu delegieren (z.B. über eine/n Sicherheitsbeauftragte/n im Betrieb). Die Maßnahmenhierarchie STOPP stellt hierbei einen guten Leitfaden für die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen und deren Prioritäten in Betrieben dar. Dazu gab es konkrete Tipps zur rechtssicheren Recherche im Internet bei verschiedenen Anstalten und deren Kampagnen.
Als Restauratorin und Sicherheitsingenieurin konnte Frau Dipl.-Rest. (Univ.) Maruchi Yoshida einen fachbezogenen Blickwinkel bieten. Sie ist inzwischen an Museen und Institutionen als Beraterin in Sachen Arbeitssicherheit tätig. Dies kommt zum Beispiel beim Einrichten von neuen Depots oder sonstigen Arbeitsräumlichkeiten vor. Dabei liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einbeziehung, also der Partizipation der gesamten Belegschaft. Wie bringt man dem Team das Gefühl für Arbeitssicherheit nahe? Wie kann man die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Sicherheit und Gefährdung vereinbaren? Wie schafft man eine „integrale Sicherheitskultur“, die von Wertschätzung geprägt ist und von Austausch und Kommunikation lebt? Bei der Beantwortung dieser Fragen wurde deutlich, wie wichtig das Miteinander beim Thema Arbeitssicherheit ist und wie viel Effizienz in der gemeinsamen Erarbeitung eines Konzepts steckt.
Nach der recht kurz gehaltenen Mittagspause von 30 Minuten, in der die Teilnehmenden in einer Umfrage online unter anderem zum Stand der Arbeitssicherheit in ihren Betrieben befragt wurden, ging es auch schon wieder in medias res.
Schutz auf der Baustelle
Dipl.-Ing. Konrad Zieglowski war gleich mit zwei Vorträgen vertreten, da er für den ausgefallenen Vortrag von Caroline Weiss einsprang. Sein erstes Thema „Baustellenorganisation – Schnittstellen zum Unternehmen“ zeigte die Aufgaben und Pflichten der für den Bau verantwortlichen Person auf. Darunter fällt unter anderem die Bestellung eines/r Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator:in (SIGEKO) nach §4 ArbSchG beziehungsweise die eigene Übernahme dieser Rolle. Dies ist mit wichtigen Aufgaben wie der Erstellung einer Baustellenordnung, der Anfertigung von Baustellenplänen, der Organisation der Logistik und Vielem mehr verbunden. Er/sie ist Ansprechpartner:in der Beteiligten auf der Baustelle und vermittelt gegebenenfalls zu den Bauleuten. Herr Zieglowski besprach eine Musterbaustellenordnung und wies darauf hin, dass viele dieser Punkte bereits in der Planungsphase geklärt werden müssen. Somit sollte sie bereits in jedem Leistungsverzeichnis enthalten sein – beachtenswert vor allem für die in der Denkmalpflege tätigen Restaurator:innen. Ein weiterer wichtiger Hinweis erfolgte in Sachen Dokumentation der Maßnahmen für eventuelle Kontrollen oder den „Fall der Fälle“. Auch als unbeteiligte Person ist man stets dazu angehalten, bei Gefahr in Verzug einzugreifen und auch fotografisch zu dokumentieren.
Dass das Thema Gerüste und sonstige Arbeitshilfen die Teilnehmenden im Berufsalltag durchaus beschäftigt, kam in der anschließenden Diskussion bzw. den Fragen zum Vortrag zum Ausdruck. Herr Zieglowski beantwortete sachlich und detailliert, wies dennoch gelegentlich auf den später folgenden Vortrag dazu hin.
Der zweite Teil ging ganz konkret auf das Thema SIGEKO und Baustellenverordnung sowie dessen Rolle und Unterstützung bei der Planung und Ausführung des Arbeitsschutzes auf der Baustelle ein. Als an einer Baustelle beteiligten Firma kann und soll die Leistung des SIGEKO durchaus eingefordert werden. Falls hier Untätigkeit besteht, sollte das Gewerbeaufsichtsamt informiert werden. Mit dem Zitat „Wer schreibt, der bleibt“ wurde auch hier wieder der nützliche Hinweis an eine ausführliche Dokumentation gegeben.
Herausforderung Mikroorganismen
Nach diesen vielen – wenn auch durchaus lebendig vorgetragenen – Paragrafen, Verordnungen und Gesetzen erreichte das Programm des Tages nun eine Wendung hin zur Mikrobiologie und interessanten Praxisbeispielen.
Die Diplom-Restauratorin (FH) und Mikrobiologin Stefanie Scheerer nahm die Teilnehmenden mit in die faszinierende Welt der Mikroorganismen. Neben den allseits bekannten Schimmelpilzen kamen Archaeen, Bakterien und Algen sowie deren gesundheitsgefährdendes Potential zur Sprache. Auch die gesundheitlichen Gefährdungen, die von Stäuben von Vogel- oder Fledermauskot ausgehen, blieben nicht unerwähnt. Konkrete Hinweise zur Schutzkleidung bzw. -ausrüstung rundeten den Vortrag ab und gaben einen Einblick in die Herausforderungen, die bei der Arbeit mit den praktisch überall vorhandenen Mikroorganismen verschiedenster Gattungen bestehen. In Sachen FFP2-Maske und HEPA-Filter wurde mit Irrtümern und Anwendungsfehlern aufgeräumt.
Sonderfall Asbest
Aus der Schweiz nach Stuttgart und in die Ateliers und Büros der Seminarteilnehmenden zugeschaltet, berichtete Karin von Lerber von der Prevart GmbH von den immensen Herausforderungen der Reinigung von asbestbelasteten Museumssammlungen. Die Textilrestauratorin ist inzwischen Spezialistin für diese Art von Großprojekten, bei denen das Thema Arbeitssicherheit eine absolut herausragende Rolle spielt. Die sehr feinen und leichten Asbestfasern können bei Festsetzung in der Lunge schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen. So schwerwiegend, dass selbst der strenge restauratorische Anspruch der größtmöglichen Substanzerhaltung davor in den Hintergrund treten muss. Denn Notsicherungen sind vor einer Asbestreinigung nicht möglich. Frau von Lerber zeigte anhand vieler Fotos, Skizzen und kurzen Videos den schier unvorstellbaren personellen, organisatorischen, logistischen, gerätetechnischen und nicht zuletzt finanziellen Aufwand einer Asbestreinigung an einer gemischten Sammlung mit den unterschiedlichsten Materialoberflächen auf. Die Quintessenz lautete letztendlich auch hier: Der Schutz des Menschen und seiner Gesundheit ist oberstes Gebot!
Um dem großen Interesse der vorrangig auf Baustellen tätigen Restaurator/innen an Arbeitshilfen wie Gerüsten und Leitern Rechnung zu tragen, schloss der Vortragstag mit den Ausführungen von Herrn Rainer Ohlwein von der Firma Zarges GmbH ab. Nach der Vorstellung von verschiedenen Formen von Kleingerüsten und Leitern, Arbeitsplattformen und Podesten erfolgten Hinweise auf Kennzeichnungen und auch Grenzen der Anwendung. Zum wiederholten Male an diesem Tag wurde auf die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung und den Betriebsanweisungen hingewiesen, die grundsätzlich für jedes Gerüst und jeden Arbeitsplatz zu erstellen sind.
Fazit
Das Thema der Arbeitssicherheit und des Arbeitsschutzes in Betrieben und bei Selbstständigen und Freiberufler:innen intensiv zu beleuchten ist selbst oder vor allem in unserer Branche kein Luxus, sondern eine unumgängliche Notwendigkeit. Die Nichtbeachtung der gesetzlichen Regelungen kann für Mitarbeitende gesundheitliche und für das Unternehmen zudem wirtschaftliche und haftungsrelevante Folgen haben. Die Beschäftigung mit der Arbeitssicherheit für seine Mitarbeitenden sollte als Selbstverständlichkeit in den Arbeitsalltag integriert und ausreichend kommuniziert und dokumentiert werden. Und zwar weitgehend unabhängig von der Anzahl der beschäftigten Personen – viele Gesetze greifen bereits ab Personalnummer eins.
Die Auseinandersetzung mit den Verordnungen und Regelungen ist bisweilen mühsam und zäh, die Umsetzung teils mit Kosten oder Änderungen von altgewohnten Abläufen verbunden. Die Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft bringt hier viele Vorteile. Für den vergleichsweise geringen Beitrag stehen jedem/r Arbeitgebenden eine Vielzahl an Fortbildungs- und Beratungsangeboten zur Verfügung.
Die eigenen Pflichten zu kennen und den Weg zu Hilfe und Beratung bei der Umsetzung zu finden ist für Arbeitgebende ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dies haben die ausführlichen und durchweg interessant gestalteten Vorträge deutlich aufgezeigt. Danke den Referierenden, dass sie ihr umfangreiches Wissen mit uns geteilt haben.
Und nicht zuletzt ganz großen Dank an das Organisationsteam für die sehr gelungene und äußerst informative Veranstaltung, der das Onlineformat keinen Abbruch getan hat.
13.05.2021, Dipl. Rest. Karin Krüger
(Fotos: Chiara Gaugel)