Das Motiv zum Europäischen Tag der Restaurierung stammt in diesem Jahr aus Erfurt. Es zeigt ein Detail des achteinhalb Meter hohen und rund 44 Quadratmeter großen Marienmosaiks, das bis 1968 weithin sichtbar den Westgiebel des Erfurter Doms zierte. Nachdem bauliche Mängeln des neugotischen Daches den Abbau des Mosaiks erforderlich machten, verschwand das Mosaik lange aus dem Blickfeld der Stadtbewohner bis es die Diplom-Restauratorin Janka Acht 2016 im Rahmen ihrer Masterthesis eingehend untersuchte und ein Konzept für die Wiederaufstellung erstellte. Seit 2018, nach Restaurierung und Wiederanbringung durch das Erfurter Restauratoren-Kollektiv, hat das Mosaik wieder einen neuen Platz in der Kirche gefunden. Es ist nun im Rahmen von Führungen im Dachstuhl des Doms zu bewundern. Außergewöhnlich sind dabei nicht nur die Darstellung und Herstellungstechnik des Mosaiks, sondern auch das Montagesystem, mit dem das Mosaik an der Wand befestigt wurde.
Wir sprachen mit Janka Acht über die Besonderheiten des Mosaiks und die Herausforderung eine derart große Fläche zu behandeln und zurück an die Wand zu bringen.
VDR: Das Marienmosaik war gemessen am Alter des Doms nicht sehr lange an der Außenfassade zu sehen, nur knapp ein Jahrhundert. Wann und wie entstand es?
Janka Acht: 1868-70 entstand das Mosaik nach einem Entwurf von August Theodor Kaselowsky, einem Berliner Historienmaler, um damit den neu errichteten Westgiebel zu schmücken. Mit der Ausführung beauftragt wurde die venezianische Werkstatt des Antonio Salviati, die die damals neue Technik der indirekten Setzung für sich entdeckte und anwendete. Bei dieser Technik wird zunächst der Entwurf gespiegelt, in Abschnitte eingeteilt und anschließend auf Originalgröße vergrößert. Die einzelnen Glastesserae werden dann mit ihrer Vorderseite auf die Papiervorlage geleimt. So konnte das Mosaik bequem in Venedig vorbereitet und dann in Kisten transportiert werden. In Erfurt wurden die Abschnitte in den frischen Mörtel der vorbereiteten Mauer gedrückt, und nach der Trocknung des Mörtels konnte die Papierkaschierung samt Leim wieder mit Wasser abgewaschen werden. Das war eine praktische und kostengünstige Möglichkeit. Auf diese Weise entstanden weltweit zahlreiche große Mosaiken durch die Firma Salviati. Das Marienmosaik ist eines der ersten Mosaike von Salviati. Das ist neben der Herstellungstechnik auch das Besondere an diesem Werk.
Gibt es vergleichbare Mosaiken?
Die wohl bekanntesten Beispiele sind die Mosaiken in der Pariser Oper und das Kuppelmosaik im Aachener Dom.
Das kennt natürlich jeder. Das Erfurter Mosaik jedoch weniger. Wie wurden Sie auf das Mosaik aufmerksam, und wie kam es zur Entscheidung sich dieses doch enorme Projekt für eine Masterthesis auszusuchen?
Nach meinem Diplomstudium der Wandmalerei-Restaurierung habe ich 2014 das monumentale Wandbild des heiligen Christophorus im Erfurter Dom restauriert. Dabei habe ich auch zur Geschichte des Erfurter Doms recherchiert. Bei den Recherchen war das Mosaik natürlich nicht zu übersehen. Ich las über den Neubau des Daches in den 1860er Jahren und die Schäden ein Jahrhundert später. Das Dach war von Anfang an undicht und führte immer wieder zu Wasserschäden, wodurch es zum Abbau des Daches und damit zu einem Abbau des Westgiebels kam. Diese Geschichte wurde dem dort angebrachten Mosaik sozusagen zum Verhängnis: Es wurde samt der Mauersteine auseinandergebrochen und heruntergeholt. Dabei entstanden die ersten Schäden in den Fugenbereichen. In den 1990er Jahren wurden die Mosaiken aufgrund von Lagerengpässen schließlich auch noch von den Mauersteinen abgenommen, indem vorderseitig eine Leinwand aufgebracht und der Mörtel und der Steinträger mit Hammer und Meißel voneinander getrennt wurden.
Diese Geschichte hat mich von Anfang an gefesselt und bot auch genügend Material für eine Masterthesis – und dann hat das Mosaik mit den Glasbausteinen für mich persönlich eine perfekte fachliche Brücke geboten, um mein vorausgegangenes Studium der Wandmalereirestaurierung mit dem Studium der Restaurierung von Glasobjekten zu verbinden.
Nun war es im Rahmen der Masterthesis erst einmal die Aufgabe, das Mosaik zu untersuchen und ein Konzept für die Konservierung zu erarbeiten, richtig?
Ja, es sollte untersucht werden. Auch war ein Konzept zur Konservierung und Umlagerung willkommen. Eine Restaurierung mit Wiederaufstellung war zunächst nicht geplant. Wenn man nicht weiß wohin damit, dann macht eine Restaurierung auch keinen Sinn. Aber dann hatte der Dombaumeister während der laufenden Untersuchungen den Einfall, das Mosaik im Dachstuhl aufzuhängen, was auch ein großartiger Raum ist. Damit war entschieden, das Mosaik hervorzuholen und ich dufte es unter die Lupe nehmen.
In welchem Zustand befand sich das Mosaik als Sie es das erste Mal live sahen?
Das war ein eher trauriger Anblick. Die abgenommenen Fragmente waren übereinandergestapelt in großen Kisten und befanden sich in einem sehr feuchten Keller der Kirche. Die klimatischen Bedingungen führten zu einem starken biologischen Befall. Der Klebstoff, mit dem die Leinwand befestigt war – übrigens „Pattex Kraftkleber“ – bot ausreichend Futter für den Schimmel, der bereits erste Schäden an den Glastesserae hervorgerufen hatte.
Das Mosaik war zuletzt im Strappoverfahren von den ursprünglichen Werksteinträgern getrennt worden. Sie konnten also nur die Rückseite der Steine sehen. War die einstige Pracht zu erahnen?
Durchaus, das war zu erkennen – auch wenn das viele Gold von der Rückseite aus nicht sichtbar war. Denn die Goldauflagen befinden sich innerhalb der einzelnen Mosaiksteine ja zwischen einem dicken Trägerglas und einem dünnen Deckplättchen. Aber ich wusste ja, was mich erwartet.
Von historischen Farbaufnahmen?
Ja, es gab Farbaufnahmen und auch kolorierte Malereien. Aber auch am Original waren von der Rückseite her Konturen von Faltenwürfen und Gesichtern zu erkennen. Das Restauratorenauge findet dann ja auch unebene Rückseiten mit Mörtelresten, Verschmutzungen und andere Details spannend, die Aufschluss über die Herstellungstechnik und Objektgeschichte geben. Was sich hier versteckt ist ganz besonders interessant. Dadurch entsteht schon ein eindrucksvolles Bild vor dem geistigen Auge.
Das Mosaik ist nur fragmentarisch erhalten. Sie haben sich gemeinsam mit dem Dombauamt und Landesamt für Denkmalpflege entschieden es auch so zu präsentieren. Welche Herausforderungen brachte dies mit sich?
Der fragmentarische Zustand stellte für die Konservierung und Handhabung von der praktischen Seite her eine Vereinfachung dar. Aber natürlich war die Herausforderung umso größer mit diesem fragmentarischen Zustand einen ästhetisch ansprechenden Gesamtzustand zu erreichen, eben mit dem Fugennetz von den ehemaligen Mauersteinen, das nicht zu dominant wirken sollte. Die Lösung war letztlich die Präsentation vor einem ganz dunklen Hintergrund.
Das ist eher unüblich …
Üblicherweise werden solche Fehlstellen durch graue oder beige Hintergründe geschlossen. Nun sind im Mosaik aber alle Farbnuancen enthalten, und wenn man eine daraus aufgreift, hätte dies optisch nicht funktioniert. Wir haben das anhand von Computersimulationen ausgetestet. Ein schwarzer Hintergrund ergab einfach ein eindrucksvolles, ruhiges Bild und eine klare Abgrenzung der Fragmente untereinander.
Der schwarze Hintergrund ist nicht nur aufgrund seiner Farbe besonders, sondern auch technisch interessant. Wieso?
Den schwarzen Hintergrund bildet ein matt-schwarzes Lochblech, das an einer Stahlkonstruktion befestigt ist. Durch die feine Lochstruktur hat der Träger optisch eine gewisse Leichtigkeit bekommen, obwohl man sieht: Das Blech trägt ein enormes Gewicht. Die Löcher gaben zudem genügend Spielraum für die Ausrichtung der Fragmente bei der Montage.
Zweite Herausforderung waren die klimatischen Bedingungen. Im Dachstuhl ist es im Sommer sehr heiß und im Winter entsprechend kalt. Das hatte Einfluss auf die Materialauswahl zur Montage. Die üblichen Wabenplatten aus Aluminium, die in gut klimatisierten Museen gerne genutzt werden für abgenommene Wandmalereien und Mosaiken, kamen als Trägermaterial nicht in Frage.
In Zusammenarbeit mit dem SKZ, dem Kunststoff-Zentrum in Halle, haben wir daher Trägerplatten entwickelt, die allen Anforderungen gerecht wurden. Dabei handelt es sich um mit Epoxidharz und Glasfaser laminierte Strukturschaumplatten mit integriertem Holzkern, die ausreichend stabil und thermisch belastbar sind.
So bestand der Aufbau der Mosaikfragmente aus einer besandeten Trägerplatte, Mörtelschicht und Mosaikfläche. Dieser Aufbau wurde vor dem realen Einsatz an der Materialprüfanstalt in Weimar, der MFPA, auf seine Festigkeit hin getestet. Damit war technisch alles abgesichert. Das Mosaik konnte aufgestellt werden.
Wie war es nach der Anbringung? Das ging sicherlich durch die Presse.
Es gab tüchtig Wirbel in der Presse. Gerade in der ersten Zeit gab es einige Führungen, auch durch uns, das Restauratoren-Kollektiv. Das hat großen Anklang gefunden. Viele, gerade Ältere, die das Mosaik noch kannten, haben sich sehr gefreut.
Man kann also sagen, Erfurt hat eine neue Attraktion. Gehen Sie manchmal noch auf den Dachstuhl? Mit Kollegen, Interessierten oder genießen Sie den Anblick lieber ganz für sich alleine?
Ja, ich gehe noch ab und zu in den Dachstuhl, aber nicht alleine. Sondern mit Interessierten, manchmal privat oder auch für den Dom im Rahmen von Führungen.
Das nächste Mal werde ich, sofern es coronabedingt machbar ist, beim Europäischen Tag der Restaurierung am 11. Oktober 2020 auf den Dachstuhl steigen. Gemeinsam mit meinen Kollegen vom Restauratoren-Kollektiv laden wir dann Interessierte dazu ein, das Mosaik und seine Geschichte kennenzulernen.
Fragen und Interview: Patricia Brozio, VDR-Redaktion
Bildnachweise: © Restauratoren-Kollektiv GbR Erfurt
Zur Person:
Janka Acht ist seit 2010 als freischaffende Restauratorin tätig. Gemeinsam mit zwei weiteren Berufskolleginnen und einem Restaurator hat sie 2017 die Arbeitsgemeinschaft Restauratoren-Kollektiv GbR Erfurt gegründet, das als Team ein breites Spektrum der Restaurierung abdeckt.
Nach fünfjährigem Studium der Konservierung und Restaurierung von Wandmalerei und Architekturfassung, das Janka Acht mit dem Diplom abschloss, sattelte sie ein mehrjähriges Studium der Konservierung und Restaurierung von Glasmalerei und Objekte aus Glas auf. Die Kenntnisse aus beiden Fachbereichen waren eine ausgezeichnete Kombination, um beim Marienmosaik sowohl die Glassteine als auch den Untergrund zu bearbeiten.