Fingerspitzengefühl für ein geteiltes Kunstwerk

„Diese Restaurierungsgeschichte hat leider kein echtes Happy End“, sagt Eva Tasch bedauernd. Dass das eher unbefriedigende Ergebnis nichts mit der Restaurierung selbst, sondern mit den Begleitumständen zu tun hat, erzählt […]

„Diese Restaurierungsgeschichte hat leider kein echtes Happy End“, sagt Eva Tasch bedauernd. Dass das eher unbefriedigende Ergebnis nichts mit der Restaurierung selbst, sondern mit den Begleitumständen zu tun hat, erzählt auch etwas darüber, dass eine gelungene Restaurierung von vielen Faktoren abhängig ist. Eva Tasch, die heute als selbstständige Restauratorin im Fachbereich Gemälde und Skulpturen mit eigenem Atelier in Leipzig arbeitet, erinnert sich an den Beginn der Restaurierungsgeschichte des Kirchberger Retabels. Seit 1864 wird der Skulpturenschrein im Stadt- und Bergbaumuseum Freiberg ausgestellt und gehört dort zu den Attraktionen.

„Über die fünf polychromen Holzskulpturen in diesem Retabel, das der Zwickauer Bildschnitzer Peter Breuer 1521 fertigstellte, habe ich 2012 meine Diplomarbeit an der Hochschule für Bildende Künste Dresden geschrieben. Schnitzerei und Fasstechnik der Figuren sind von überragender Qualität und  fast in originalem Zustand. Der Erhaltungszustand war ein Traum, so dass die Schwerpunkte auf der kunsttechnologischen Untersuchung und der Konservierung lagen.“ In ihrer Diplomarbeit hatte die Restauratorin sich sogar mit einem faszinierenden Detail, dem Auge der Skulptur des hl. Bartholomäus beschäftigt und im Rahmen einer digitalen Studie den Fassprozess des Auges nachvollzogen. (Das Auge des hl. Bartholomäus ziert übrigens auch das Cover der Ausgabe 1/2020 der Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut.)

Der Flügelschrein, so wie er im Museum zu sehen ist, ist unvollständig. Es sind noch die Predella und zwei Figuren, die sich im Gesprenge befunden haben, erhalten. Diese Teile befinden sich in der Gemeinde Erlbach-Kirchberg im Erzgebirge, für deren Kirche sie ursprünglich geschaffen worden waren. „Die Predella hatte ich mir damals ebenfalls angeschaut. Sie ist von der Fassung her ähnlich aufgebaut, aber ihr Erhaltungszustand war leider viel schlechter, da sie vom Retabel getrennt auf dem Dachboden des Pfarrhauses aufbewahrt worden war und unter den schlechten klimatischen Bedingungen gelitten hatte. Hier gab es dringenden Festigungsbedarf.“ Dank des sehr engagierten Pfarrers der Kirchengemeinde und mit Unterstützung des Denkmalamtes sollte ein paar Jahre später auch die Restaurierung der vernachlässigten Predella und der beiden Figuren in Angriff genommen werden. Eva Tasch wurde 2017 damit beauftragt und holte die Kunstwerke aus der Pfarrei ab.

„Der Pfarrer wusste, wie toll die Stücke sind und hat sich sehr für sie eingesetzt. Als die Restaurierung abgeschlossen war und ich die Werke zurückbringen wollte, stellte sich jedoch heraus, dass der Pfarrer in eine andere Pfarrei gewechselt hatte. Von da an gab es für mich keinen richtigen Ansprechpartner mehr und das Interesse in der Gemeinde für die Predella hatte stark nachgelassen. Ein Großteil der Gemeinde kannte das Werk gar nicht. Die Vereinbarung mit dem Denkmalamt, dass die Predella in der Kirche fest installiert und zugänglich sein sollte, war nun eher lästig geworden. Da sich niemand zuständig fühlte, war kein Platz für eine feste Installation ausgesucht worden. Als ich das Werk dann nach der Restaurierung zurück brachte, musste ich die Predella wohl oder übel auf einem Tisch unter der Empore abstellen.“ Auch ein Handout, das Eva Tasch für die Gemeinde erstellt und in dem sie die Restaurierungsmaßnahmen erläutert hatte, konnte die aus Sicht der Restauratorin fehlende Akzeptanz nicht maßgeblich fördern.

Predella mit Relief und zwei Tafelgemälden, Peter Breuer, 1521, Gemeinde Kirchberg, Zustand vor der Konservierung (Foto: Eva Tasch)

Schließlich lag auch die Frage auf der Hand, ob die Predella nicht sowieso besser im Museum aufgehoben wäre, wo das Retabel ohnehin schon lange stand. „Das ist eine schwierige Situation, denn der originale Aufstellungsort des gesamten Altarschreines ist eindeutig die Kirche. Dort sind aber weder die optimalen klimatischen Bedingungen noch die Betreuung gegeben. Im Museum wäre beides gewährleistet, aber dann wäre das Werk endgültig aus seinem Kontext entfernt worden. Im Museum war man außerdem zurückhaltend, weil man wohl eine Diskussion fürchtete. Schließlich könnte man auch argumentieren, dass das Retabel zur Predella in die Kirche zurückgeführt wird und nicht umgekehrt. Dann hätte das Museum ein Hauptwerk seiner spätgotischen Sammlung verloren.“

So bleibt denn bis heute im Museum in Freiberg und in der 70 Kilometer entfernten Gemeinde Erlbach-Kirchberg alles beim Alten und das Kunstwerk geteilt. „Ich habe die Predella nicht vergessen, aber ein Monitoring, das wegen der Klimaschwankungen in der Kirche nötig wäre, fehlt.“ Ob und wie die Teile des Kirchberger Retabels wieder zusammengeführt werden sollen, kann und will Eva Tasch nicht entscheiden. „Dazu müsste der Anstoß vom Museum, von der Gemeinde oder vom Denkmalamt kommen und es ist ja noch nicht einmal klar, wer eine solche Entscheidung überhaupt treffen darf. Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschickt sind auf jeden Fall gefragt.“

 

Bei der VDR-Fachtagung „Die Fassung bewahren“, die sich im März 2019 mit der Konservierung und Restaurierung polychromer Skulptur beschäftigte, sprach Eva Tasch über die unterschiedlichen Werdegänge von Retabel und Predella. Ihren Vortrag kann man im Aufsatz „Zwei Konzepte, ein Ziel“ in der Ausgabe 1/2020 der Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut nachlesen. Für VDR-Mitglieder sind die Ausgaben des VDR-Fachmagazins kostenlos im Downloadbereich des internen Mitgliederbereiches zu finden oder im VDR-Shop.

Text: Gudrun von Schoenebeck